Hans-Georg Maaßen im Interview: „Ich lehne Brandmauern ab“

Der Ex-Verfassungsschutzchef will die Werteunion aus dem politischen Abseits befördern. Was treibt ihn an – und wie steht er zur AfD? Ein Gespräch.
Der Mann, der mal Chef des Verfassungsschutzes war und dort heute als „rechtsextremes Beobachtungsobjekt“ gilt, scheint am liebsten nicht auffallen zu wollen. Für dieses Gespräch hat Hans-Georg Maaßen ein Lokal im Berliner Westen vorgeschlagen, er wartet an einem Tisch weit hinten in einer Ecke, grüßt höflich, spricht bedacht, fast vorsichtig. So ist es schwierig, ihn gedanklich mit dem Maaßen zusammenzubringen, der in seinen Texten und Postings aufschimmert. Der ein „Menschenzuchtprogramm“ gegen Weiße witterte, den Medien Manipulation vorwirft und überhaupt sehr alarmiert wegen des Zustands dieses Landes wirkt.
Wer also ist dieser Mann, der unter Angela Merkel seinen Posten verlor, weil er öffentlich bezweifelte, dass es in Chemnitz rechtsextreme Hetzjagden gab, nachdem ein Syrer und ein Iraker einen Menschen getötet hatten? Der auch heute noch oft von Merkel spricht, ihr Nähe zu antideutscher Ideologie vorwirft. Der mittlerweile seine eigene Partei führt, die Werteunion, und lächelnd neben der AfD-Chefin Alice Weidel posiert?
„Warum sollte man Probleme damit haben, sich mit Frau Weidel fotografieren zu lassen?“Herr Maaßen, Sie waren kürzlich auf der CPAC-Konferenz in Budapest. Danach haben Sie ein Foto von sich und Alice Weidel verbreitet – dazu schrieben Sie: „Na, und?“ Was wollen Sie damit sagen?
Mein Credo ist: Ich spreche mit allen, die mit mir reden wollen. Ich gehe Frau Weidel nicht aus dem Weg. Und ich würde auch Frau Wagenknecht nicht aus dem Weg gehen. Wir müssen ja nicht heiraten oder eine Koalition bilden. Mit linken oder grünen Politikern würde ich auch reden und mich fotografieren lassen – aber umgekehrt bestehen wohl eher Brandmauern.
Wollen Sie mit so etwas provozieren?Ein bisschen ist das Provokation. Ich lehne Brandmauern ab. Darum: „Na, und?“ Warum sollte man Probleme damit haben, sich mit Frau Weidel fotografieren zu lassen?
In Ihrer Rede auf der CPAC bedankte sich Alice Weidel dafür bei Ihnen, dass der Verfassungsschutz unter Ihrer Ägide nicht die AfD beobachtet hatte. Haben Sie sich über diesen Dank gefreut?
Es war nett. Ich habe Frau Weidel schon einige Male gesehen. Ich schätze sie als begabte und intelligente Frau. Sie steckt unglaublich viel ein. Ich habe mich gefreut, dass sie mich im Publikum erkannt hat. Aber ich habe einfach nur meinen Job gemacht, dafür will ich kein Dankeschön haben.

Andere würden sagen, dass Sie Ihren Job nicht richtig gemacht haben, weil Sie die AfD nicht beobachteten. Stand das damals in Ihrer Behörde zur Debatte?
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst keine Parteien beobachten sollte. Das geschieht in keinem anderen westlichen Land, mit Ausnahme Österreichs. Als ich als Verfassungsschutzchef mit meinen amerikanischen und britischen Kollegen sprach, haben die nur mit dem Kopf geschüttelt – dass ein Geheimdienst, der von einem politischen Beamten geführt wird und dem Innenminister untersteht, gegnerische Parteien beobachtet und sie öffentlich diffamieren und diskreditieren darf. Ich war mir mit dem damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich einig. Als wir 2013 aufgehört haben, die Linke zu beobachten, dachte ich, wir seien auf dem Weg zur Normalität. 2016 ging die Diskussion um die Beobachtung der AfD los.
Wie lief das ab?
Ich erinnere mich, es gab eine Landtagswahl in Baden-Württemberg. Ein paar Wochen davor wurde ich von einem Kollegen von dort angesprochen. Er fragte mich, ob ich nicht eine Bund-Länder-Prüfgruppe zur AfD einsetzen wolle. Der Landesinnenminister war von der SPD. Die Wahl drohte, für die SPD ein Fiasko zu werden. Ich habe gesagt, dass ich mich nicht zum Büttel von Parteien vor einer Landtagswahl machen lasse. Danach kam der neu ernannte Thüringer Verfassungsschutzpräsident Kramer unter Bodo Ramelow, der selbst viele Jahre beobachtet worden war. Es wurde unglaublicher politischer und medialer Druck auf mich ausgeübt. Letztlich wurde politisch entschieden, dass wir die AfD prüfen. Das war 2018. Dem damaligen Innenminister Horst Seehofer habe ich gesagt, dass wir dann logischerweise auch wieder die Linke beobachten müssen.
Sie sagen, dass Sie grundsätzlich gegen die Beobachtung ganzer Parteien sind. Aber auch unter Ihrer Führung wurden rechts- und linksextremistische Parteien wie der Dritte Weg oder die DKP beobachtet.
Ja, das ist richtig. So etwas geschieht mit Blick auf personelle Beziehungen in die gewaltbereite Szene oder wenn die Parteieigenschaft nur eine juristische Hülse ist, mit dessen Hilfe eine Systemüberwindung betrieben werden soll. Aber es ist in der Tat prüfenswert, auch diese Beobachtungen herunterzufahren.
Hans-Georg Maaßen: „Die CDU ist eigentlich eine linke Partei“In einem Spiegel-TV-Video aus dem Bundestagswahlkampf 2021 sagten Sie noch, Ihnen sei daran gelegen, dass die AfD verschwinde. Sie sagten auch, dass Sie den Menschen ein Angebot machen wollten – man könne Probleme auch „nicht radikal“ lösen. Hat sich Ihr Blick auf die AfD verändert?
Einiges hat sich verändert, vor allem die CDU. 2021 war ich Kandidat der CDU in Südthüringen und hatte die Interessen der Partei vertreten, insbesondere der Kreisverbände vor Ort, die geerdet und konservativ sind. Wir waren der festen Überzeugung: Wenn wir eine konservative CDU haben, brauchen wir keine AfD mehr. Auch jetzt, als Werteunion, die ich gegründet habe, sehen wir einen deutlichen Unterschied zur AfD. Die AfD ist eine rechte Partei, wir sind die konservative Partei. Wir wollen eine Politik mit Maß und Mitte und keine radikale Politik. Zum Beispiel bei der Zuwanderung. Wir wollen die Migration steuern und begrenzen. Das heißt, wir wollen Zurückweisungen an unseren Grenzen, aber wir wollen das Asylrecht nicht abschaffen. Wir haben im Ausländerrecht weniger ein Rechtssetzungsproblem als das Problem des mangelnden politischen Willens, das Recht anzuwenden.

Bei Wahlen hatte Ihre Partei keinen Erfolg. Ist die Werteunion gescheitert?
Ich glaube daran, dass die Werteunion gebraucht wird. Wir sehen uns als konservative Partei in der Tradition der früheren CDU/ CSU und FDP. Unser Problem ist die mangelnde Visibilität – uns sieht man nicht in der Öffentlichkeit. Unsere Zielgruppen, klassische CDU/CSU- und FDP-Wähler, kennen uns im Zweifel nicht. Ich schätze die Lücke zwischen Union und AfD auf etwa 15 Prozent. Vor der Bundestagswahl hat man gesagt, es gebe kaum mehr Platz für die Werteunion zwischen der Merz-Union und der AfD. Seit der Wahl sieht man, dass Merz nicht das hält, was er versprochen hat. Es ist eine Politik des Weiter-so. Das sehen wir als unsere Chance an. Wir müssen unserer Zielgruppe deutlich machen, dass die CDU eigentlich eine linke Partei ist.
Was unterscheidet Sie von der AfD?
In manchen Punkten haben wir Gemeinsamkeiten – etwa darin, dass wir strukturelle Fehlentwicklungen in diesem Land sehen, gerade was Migrationspolitik und Meinungsfreiheit angeht. Aber für uns ist die AfD eine rechte Partei, die auf einen starken Staat setzt, weil sie ihn als Lösung der Probleme und nicht als Problem ansieht. Wir sind dagegen eine konservative Partei, die auf einen Rückbau des Staates in vielen Bereichen setzt. Nicht nur bei Bürgergeld und Transferleistungen, wir wollen auch einen weitgehenden Rückzug des Staates aus unserem Leben. Ich will in meinem Leben gar nicht wahrnehmen, dass es den Staat gibt. Er soll das machen, was seine eigentlichen Aufgaben sind: die innere und äußere Sicherheit, Landesverteidigung, eine gute Diplomatie, Infrastruktur, Bildung und ein vernünftiges soziales Netz. Diese Aufgaben erfüllt der Staat heute mangelhaft. Stattdessen greift er tief in unsere Freiheiten ein. Er verhält sich übergriffig.
In einem viel kritisierten Beitrag im Magazin Cato von 2021 klangen Sie aber sehr anders. Darin formulierten Sie eher eine rechte Globalisierungskritik, wie man sie in Teilen von Donald Trump kennt, der auf Protektionismus und staatliche Eingriffe setzt. Wie passt das zusammen?
Ich bin insofern für einen starken Staat, dass er seine eigentlichen Aufgaben wahrnimmt. Im Übrigen soll er sich aus unserem Leben heraushalten. Globalisten, ich nenne diesen Ausdruck bewusst, sind für mich Leute, die eine kollektivistische Gesellschaftsform anstreben, in der die Macht letztlich nur in den Händen von wenigen Superreichen und den von ihnen kontrollierten Organisationen liegt, die uns vorschreiben wollen, wie wir zu leben haben. Die streben im Ergebnis an, dass die Souveränität demokratischer Staaten auf Instanzen übertragen wird, die nicht demokratisch legitimiert, sondern von ihnen beeinflusst sind. Ich bin strikt dagegen und sehe Parallelen zwischen Globalisten einerseits und Neomarxisten andererseits, weil beide dafür sind, dass die freiheitliche Demokratie ersetzt wird. Gemeinsam ist beiden, dass den Bürgern die freie Selbstbestimmung über ihr Leben entzogen wird, und andere für sie entscheiden wollen, wie sie zu leben haben, ihre Kinder erziehen sollen und wie sie zum Beispiel zu heizen haben. Ich sehe beides als Bedrohung an.

Weil Sie von „Globalisten“ sprechen, wurde Ihnen Antisemitismus vorgeworfen. Wer sind denn diese Personen und Organisationen, an die Sie denken?Auf der CPAC hat fast jeder Redner mindestens einmal „Globalisten“ gesagt. Ich glaube, Orbán hat das Wort zehnmal verwendet, Kristi Noem auch x-mal. Und die haben damit sicherlich nicht Juden gemeint. Gemeint sind die, die im Osten Oligarchen genannt werden und im Westen sich oftmals Philanthropen nennen. Die nicht nur reich sein wollen, sondern ihren Reichtum in Macht umwandeln. Ob das Bill Gates ist oder George Soros, der unter dem Vorwand von Philanthropie versucht, Politik zu machen. Ziel ist eine kollektivistische Gesellschaft, in der die Freiheiten des Einzelnen weiter eingeschränkt wird.
Das müsste dann ja auch für Elon Musk oder Peter Thiel gelten, die Sie jetzt nicht nannten.
Ich habe grundsätzlich Bedenken, wenn Menschen nicht nur wohlhabend oder reich sein wollen, sondern wenn sie über ihr Vermögen Politik machen. Was Elon Musk betrifft, ist das offenbar ein Versuch, ideologische Waffengleichheit herzustellen. Das nehme ich zur Kenntnis.
Mittlerweile bezeichnen Sie den Verfassungsschutz als „Gefahr für die Verfassung“. Das sagen andere bereits seit Jahrzehnten. Seit ihrem Abgang wird sich der Geheimdienst aber nicht grundsätzlich verändert haben – wollten Sie die Probleme früher einfach nicht sehen?
Vor allem die Rechtslage hat sich verändert. Bis 2021 durfte der Verfassungsschutz grundsätzlich keine Einzelpersonen beobachten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Alliierten eine Trennung von Polizei und Nachrichtendienst, damit es nie wieder eine Gestapo gibt. Deshalb darf die Polizei keine geheimdienstlichen Mittel einsetzen. Bevor ein Terrorist die Zutaten für eine Bombe kauft, darf die Polizei nicht einschreiten. Der Verfassungsschutz darf das, aber er durfte lange nur Organisationen und nicht Einzelpersonen beobachten, weil von einer Einzelperson keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgeht. Wir haben dann 2016 die falsche Entscheidung getroffen, dass Terroristen, die keiner Terrororganisation angehören, in den Bereich des Verfassungsschutzes fallen. Besser wäre es gewesen, wenn die Polizei diese schon im Vorfeld beobachten dürfte. 2021 hat man die Beschränkung auf terroristische Einzeltäter aufgehoben und die Regelung auf alle Einzelpersonen für anwendbar erklärt, bei denen der Verfassungsschutz argwöhnt, sie könnten sich radikalisieren. Damit kann nahezu jeder, wenn er sich delegitimierend, also kritisch gegenüber der Regierung äußert, Zielobjekt des Verfassungsschutzes werden.
Ihr Rauswurf liegt nun eine ganze Weile zurück. Was unterscheidet Sie heute vom damaligen Hans-Georg Maaßen?
Dass politische Beamte gehen müssen, ist normal. Insoweit war mir klar, wenn Frau Merkel meine Nase nicht gefällt, hätte sie mich jederzeit ohne Begründung entlassen können. Von daher kann ich mich nicht beklagen. Natürlich habe ich mich verändert. Ich bin älter geworden. Ich habe sehr viel gelernt und Menschen getroffen, die ich so nicht getroffen hätte, nach meinen Vorträgen zum Beispiel. Das höre ich mir an, man lernt da viel über unterschiedliche Lebenserfahrungen. Und wenn Zuhörer gelegentlich Unsinn sagen, wenn sie sich zum Beispiel selbst „Reichsbürger“ nennen und glauben, Deutschland sei eine GmbH, muss man wenigstens versuchen, die Leute von der Richtigkeit des eigenen Standpunktes zu überzeugen. Und Meinungsfreiheit muss auch für Unsinn gelten. Ich denke heute politischer. Und ich sehe manches kritischer, was die Arbeit der Bundesregierung angeht.

Dem Spiegel sagten Sie vor einigen Jahren, dass die öffentlichen Schmähungen und Unterstellungen nach der Debatte über die Ausschreitungen in Chemnitz hart gewesen seien. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Das hatte zunächst Spuren hinterlassen, aber die Zeit ist darüber hinweggegangen. Als Verfassungsschutzchef habe ich schon damals mit Journalisten zu tun gehabt, habe Interviews gegeben. Aber es ist natürlich etwas anderes, wenn man selbst Objekt der Berichterstattung ist und nahezu null Einfluss darauf hat. Ich hatte damals mit einem Presserechtler darüber gesprochen, was ich tun kann, und der sagte, Herr Maaßen, das ist ein Bombenhagel, stellen Sie sich unter, da kann man nichts machen. Da waren schon einige Verletzungen entstanden.
Maaßen: „Merkel bestand darauf, dass die Grenzen offenbleiben. Warum?“Sie sind Jurist. Die sind eigentlich dafür bekannt, dass sie ihre Worte abwägen, um die Wirklichkeit möglichst präzise zu beschreiben. Sie aber schrieben nach dem Attentat in Mannheim auf X von „medialer Manipulation“, eine pauschalisierende Unterstellung. Sie klagen darüber, dass Journalisten über die Motive des Täters rätseln. Dabei gehört es zu ihrem Job, Fakten zu sammeln und nicht vorschnell zu veröffentlichen.Da Sie gefragt haben, inwiefern ich mich verändert habe: Ich habe heute mehrere öffentliche Rollen. Ja, ich bin Jurist, ein Rechtsanwalt. Ich war Verfassungsschutzpräsident. Und ich bin nun auch Parteichef. Als solcher drücke ich mich anders aus als in meinen anderen Rollen. Das größte Problem habe ich mit den öffentlich-rechtlichen Medien, weil sie vom Gesetz her den Auftrag haben, in aller Breite und ausgewogen zu berichten. Die privaten Medien dürfen parteiisch sein und auch Propaganda betreiben. Keine Zeitung muss objektiv und unparteiisch sein. Anders ist es bei den Öffentlich-Rechtlichen. Sie kommen ihrem Auftrag aus meiner Sicht aber nicht nach. Deshalb spreche ich bewusst von Staatsmedien.
Das heißt, Sie können sich immer die Rolle aussuchen, die gerade passt. Wer sitzt in diesem Moment vor uns?
Nicht der Rechtsanwalt.
Wenn Sie von medialer Manipulation sprechen, setzt das Intention voraus. Soll heißen, da will jemand beeinflussen. Nach den Silvesterkrawallen in Berlin haben Sie in Bezug auf Migration von einem „Menschenzuchtprogramm“ gegen Weiße geschrieben. Warum vermuten Sie auch hier einen großen Plan?
Ich glaube, ich habe mich damals auf einen Tweet von einem sogenannten Seenotretter bezogen. Er schrieb, in 50 bis 100 Jahren werde es hier keine „Weißbrote“ mehr geben. Er meinte damit Menschen mit heller Hautfarbe. Ich habe mich da als politischer Aktivist geäußert, nicht als Jurist. Für mich ist es ungeheuerlich, sich so zu äußern. Nicht, weil ich nationalistisch wäre. Das kann ich nicht mit juristischen Worten beschreiben. Es ist für mich ungeheuerlich, wenn Menschen den Plan verfolgen, dass Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe aussterben und andere dominieren sollen. Dabei ist es unerheblich, um welche Hautfarben es sich handelt.
Bei der CPAC vor zwei Jahren sagten Sie, dass Politiker illegale Migration wollten, um Deutschland und die EU zu destabilisieren. Wieder so ein perfider Plan. Wie kommen Sie darauf?Ich hatte lange die Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt. Wenn ich einen Fall habe, ein Problem sehe, dann stelle ich mir die Frage, wieso ist das so? Das ist dann keine Verschwörungstheorie, sondern ich arbeite mit einer Arbeitshypothese oder einem Verdacht. 2015 hat Merkel die Türen für die Migration offengelassen. Ich fragte mich wie Millionen andere: Warum? Später bezeichnete der Journalist Robin Alexander sie und ihre Regierung als „Getriebene“. Sie sei von der damaligen Stimmung und den Medien getrieben worden. Das überzeugt mich nicht. Frau Merkel hatte später jahrelang die Gelegenheit, das rückgängig zu machen. Spätestens 2018, als Seehofer sagte, wir schließen die Grenzen im Rahmen eines neuen Migrationsprogramms. Aber sie bestand darauf, dass die Grenzen offenbleiben. Warum? Wenn ich Staatsanwalt wäre, würde ich sie befragen, um das Motiv zu erfahren. Wieso hat sie die Türen aufgelassen? Dafür gibt es mehrere Hypothesen oder einen Verdacht.
Nämlich?
Die erste, dass sie getrieben war, halte ich für widerlegt. Die zweite lautet, dass sie etwas für Asylsuchende tun wollte. Auch das leuchtet mir nicht ein, weil die zu uns kommenden Migranten zum großen Teil keine Asylberechtigten sind. Viele haben ökonomische Interessen. Merkel wusste, dass all das rechtswidrig war. Und wenn man sich als Verfassungsschutzpräsident zudem mit der Ideologie der Antideutschen beschäftigt, auch mit Antikolonialisten, dann passt das wiederum zu den aussterbenden „Weißbroten“, von denen ich sprach. Das ist für mich kein einfacher Anfangsverdacht mehr. Da ist ein dringender Tatverdacht, dass mit der Massenmigration nach Deutschland und in andere westliche Länder eine gesellschaftliche Transformation betrieben werden soll.

Entschuldigen Sie, aber es könnte doch viel profaner sein. Angela Merkel soll immer die Stimmung im Land im Blick gehabt haben, um ihre Politik danach zu richten. Womöglich dachte sie, dass die Bevölkerung zu dieser Zeit mehrheitlich keine Grenzkontrollen wollte.Das mag ein Argument sein. Dem würde ich entgegenhalten, dass die AfD bis 2015 ziemlich schwach war. Mit Merkel hatte sie Oberwasser bekommen, und das spricht gegen Ihre These.
Es ging uns eher um die Stimmung im Lager links der Union, das der Kanzlerin bekanntermaßen näher stand als das weit rechte.
Schauen Sie sich die heutige Gesellschaft an. Sie ist instabiler und zerstrittener als 2015. Grundsätzlich unterstelle ich Politikern, dass die Folgen, die sie verursachen, in Kenntnis der Umstände und damit vorsätzlich herbeigeführt wurden.Es ist aber natürlich auch viel schwerer zu ertragen, dass die Geschichte, wie sie verläuft, teilweise viel ungeplanter ist. Sie ist von Zufällen und Strukturen geprägt, die unabhängig von Absichten der Akteure wirken.
Sicher, sicher, das weiß ich doch. Es gibt in der Politik Zufälle, aber viel weniger als man gemeinhin denkt. Jedenfalls ist das meine Berufs- und Lebenserfahrung. Allerdings wird es dauern, bis wir die wirkliche Motivation herausbekommen, vielleicht auch erst durch Historiker, denen die Archive zur Verfügung stehen.
Hans-Georg Maaßen: „Für mich ist die Rehabilitation nicht entscheidend“In der breiten Öffentlichkeit gelten Sie durch den Verfassungsschutz als Rechtsextremist. Meinen Sie, dass Sie eines Tages rehabilitiert werden können?
Sicherlich. Ich müsste nur ein paar Minuten in der Tagesschau bekommen, in einer Talkshow. Aber für mich ist die Rehabilitation nicht entscheidend, sondern ich kämpfe für die Politikwende.
Was die Rehabilitation durch TV-Auftritte angeht, würden Ihnen AfD-Politiker widersprechen.
Es kommt natürlich darauf an, ob man von den Medien fair behandelt wird. Es gibt leider Journalisten, gerade in öffentlich-rechtlichen Medien, die ein Interview eher so führen, wie ein Oberstaatsanwalt eine Beschuldigtenvernehmung führt.In Ihrer Abschiedsrede beim Verfassungsschutz sagten Sie, dass Sie sich freuen würden, mit einigen Kollegen in Kontakt zu bleiben. Haben Sie noch Kontakte zu Mitarbeitern dort?
Schon. Man geht nie so ganz.
Berliner-zeitung